Monstergeschichten

Neyla ist heute acht Jahre alt geworden. Heute ist auch der bundesweite Vorlesetag, eine Initiative der ZEIT und der Stiftung Lesen. Zum zweiten Mal habe ich mitgemacht und Kindern vorgelesen, heute einer 2. Klasse, in die auch Neyla geht.

In der Schule Altonaer Straße bin ich bislang nur zum Wählen gewesen, denn dort war einmal das Wahllokal zu den Bundestagswahlen. Heute betrete ich um neun Uhr einen freundlichen Klassenraum. Ich werde von einer Schülerin darauf hingewiesen, dass ich meine Jacke draußen aufzuhängen habe – was ich befolge.

Die Kinder lösen gerade eine Matheaufgabe, die an der Tafel steht. Dann stellt mich die Lehrerin vor. Sie sagt, ich bin eine öffentliche Person, eine Abgeordnete aus dem Rathaus und deswegen lese ich heute vor. Ein Junge will wissen, ob ich im Rathaus angestellt bin. Ich mache eine Frage-Antwortrunde mit den Kindern. Dass 121 gewählte Abgeordnete bestimmen, was der Bürgermeister machen darf und was nicht, finden sie gut.
Dann setze ich mich hin und fange an, Monstergeschichten vorzulesen. Eine Geschichte mit einem Kühlschrankmonster; eine mit einem Puddingmonster; eine mit einem Monster von einem fremden Planeten, das Menschenkind als Haustier halten will; einem Monster, das eine Schulbus frisst. Und ich lese zuletzt eine Geschichte von einer Prinzessin vor, die keine Lust mehr hat, Ritter zu küssen und sie im Wettkampf alle besiegt. Es sind Erstlesegeschichten von Cornelia Funke und die Kinder hören aufmerksam zu. Nicht alle kennen das Buch, ich sage, sie können es sich zu Weihnachten wünschen. Eine Schülerin sagt, bei ihnen zu Hause würde Weihnachten nicht gefeiert. Dann wünsch es dir zum Geburtstag, sage ich.
Nach dem Vorlesen macht die Lehrerin mit den Kindern Reck- und Dehnübungen. Dann wird Neylas Geburtstag gefeiert. Alle Kinder setzen sich in eine abgetrennte Ecke des Klassenraumes auf kleine Matten. Ich darf mich dazu setzen. Ein Geburtstags-Set wird aufgebaut, ein Schüler darf eine Kerze anzünden. Wir singen „Zum Geburtstag viel Glück“ auf Deutsch, Englisch, Türkisch, Italienisch und Griechisch. Das sind die Nationalitäten, die in der Klasse vertreten sind, erklärt mir die Lehrerin nachher. Ein Junge nimmt ein kleines Holzei in die Hand und richtet gute Wünsche an das Geburtstagskind. Das Ei geht reihum, jede und jeder sagt eine Kleinigkeit. Die Kerze wird ausgepustet, ein stiller Wunsch gedacht, dann wird gemeinsam wieder an den Plätzen gefrühstück. Es gibt zusätzlich ein Stück von einem Geburtstagskuchen, auf dem eine Schokoladenglasur mit Smarties haftet. Ich schenke jedem Kind eine CD von den Alsterdetektiven, die jetzt schon ihren dritten Fall lösen, und verabschiede mich. Doch dann kommt eines der Kinder auf die Idee, dass ich ein Autogramm geben soll. Ich fühle mich wie ein Fußballstar, denn sie umringen mich jetzt alle mit Heften und Zetteln. Auch auf die CDs muss ich meinen Namen schreiben. Dann darf ich gehen. Auf der Treppe sagt ein Junge zu mir: „Danke, dass du heute vorgelesen hast, denn dafür ist Mathe ausgefallen, das mag ich nicht.“

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