Es ist ein altes Haus, das ich betrete. Ein freundlicher Flur mit hohen Decken und viel Licht empfängt mich. Ein großes Sofa steht gleich hinter der Tür. Das ist mein erster Blick in das Wohnhaus für Frauen, einer Einrichtung der SKF* e.V. Hamburg-Altona für psychisch kranke 18- bis 30-Jährige. Es ist neun Uhr morgens. Ich nehme an der Aktion „Perspektivenwechsel“ teil. Abgeordnete sehen sich für einen Tag soziale Projekte an, arbeiten mit. Mein Name steht zur Ankündigung am Schwarzen Brett: Dass ich komme, finden nicht alle gut. Viele Frauen, die hier wohnen, möchten ihre Ruhe haben. Ihre Krankheiten – Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten, Angst- und andere Zwangsstörungen – sind schambesetzt. Dass sich einige Frauen bereit erklären, mit mir zusammen den Vormittag zu verbringen, finde ich sehr mutig.
20 Frauen leben im Wohnhaus, in vier Wohngruppen, über drei Etagen verteilt. Die Treppe schwingt sich elegant hoch, die Stufen sind leicht zu nehmen. Wenn man sie mehrmals täglich wuchtet, ist es aber wohl doch anstrengend.
In den Gemeinschaftsräumen stehen gemütliche Sofas, Fernseher, Wäscheständer, große Tische. Offene Küchen laden zum Kochen ein. Poster und Fotos an den Wänden machen die Atmosphäre wohnlich. Die Badezimmer und Toiletten sind auf dem Flur – das ist nicht der modernste Standard. Aber nach Abschluss der geplanten Renovierung wird dieser Makel behoben sein. Ganz oben ist eine kleine Bibliothek, im Keller befindet sich ein Raum mit drei Waschmaschinen und zwei Trocknern – von dort aus gelangt man in den Garten. Er liegt still zwischen Häusern eingebettet. Drei junge Frauen sitzen am Tisch, klönen und rauchen. Im Keller befindet sich neben einem Kreativraum auch die große Gemeinschaftsküche, in der ich heute an der Kochgruppe teilnehme.
Wir kochen erst zu dritt, später kommt eine weitere Bewohnerin dazu. Es soll eine Hackfleisch-Lauch-Suppe geben. Wir besprechen die Arbeitsaufteilung. Ich wähle das Zwiebelkleinschneiden. Mir kommen die Tränen … Ich darf auch die Kartoffeln würfeln und einige Lauchstangen schneiden. Es ist auch noch Zeit, um Schoko-Kekse zu backen. Als die im Ofen stecken, fängt die Küche lieblich zu duften an. Die Suppe köchelt, wir kommen ins Gespräch. Über Berufsträume, über gute Rezepte. Es ist eine entspannte Atmosphäre und wir verabreden, dass ich bald zu einem Gegenbesuch einlade – ins Rathaus.
Das Wohnhaus für Frauen wird vom Sozialdienst katholischer Frauen betrieben. Die Bewohnerinnen müssen nicht konfessionell gebunden sein, auch Musliminnen sind dabei. Die Plätze werden vollständig über die Stadt finanziert. Die meisten Bewohnerinnen waren vorher in anderen Häusern untergebracht, einige waren in der Psychiatrie. Hier können sie sich frei bewegen, in die Schule gehen oder ihre Ausbildung machen, ihre Therapie weiterführen. Es gibt Gemeinschaftsdienste, es werden verschiedene Aktivitäten angeboten. Selbst eine Reitgruppe gibt es, die sich aus Spenden finanziert. Ein bis vier Jahre können die Frauen hier wohnen. Im Haus arbeiten mehrere Sozialpädagoginnen, die rund um die Uhr für die jungen Frauen da sind. Der Nachtdienst ist immer ansprechbar, wenn eine Frau in eine Krise gerät oder einfach nur nicht schlafen kann. Es wird nicht gefragt: Warum geht es dir schlecht. Es wird akzeptiert, dass es jeder einmal nicht gut geht und in den Arm genommen – erzählt mir eine 19-Jährige.
Die Suppe schmeckt toll, die Kekse auch. Ich bin pappsatt, als ich gehe und fühle mich auch sonst bereichert.
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