Uns Linken wird ja gern Textlastigkeit vorgeworfen. Stimmt auch oft. Aber das liegt nur daran, dass wir viel zu sagen haben und selten Gehör finden. Außerdem haben wir einen unerbittlichen Hang, die Welt zu erklären – auch auf jedem Flugblatt.
Das ist natürlich ein Mythos. Wir machen tolle Flugblätter, gute Erklärungen, super Anträge und fundierte Analysen. Das geht oft nicht im Boulevardstil – oder doch?
Textarbeit ist richtig harte Arbeit. Sie verlangt Disziplin und handwerkliche Kenntnisse. Und Wissen um die Wirkung von Worten, Aussagen, Appellen. Satzzeichen haben eine große Bedeutung – leider werden selbst Letztere bei Linken nur spärlich eingesetzt. Über manche Texte könnte ich eine Handvoll Kommata, Ausrufezeichen und Punkte werfen, damit er lesbar wird. Auch beim stillen Lesen wird angehalten und geatmet, Leute!
Ich könnte beispielhaft Unmengen von Satzungetümern darstellen, die mir beim Lesen körperliche Schmerzen bereiten. Das hat aber nichts mit uns Linken, sondern mit einer akademisierten und verrechtlichen Sprache zu tun. Manchmal auch mit Arroganz. Wer um Himmelswillen lässt sich von einem Flugblatt die Welt erklären? Für wen ist ein Antrag oder eine Presseerklärung ausschlaggebend, um seine Meinung zu ändern? Die Menschen sind konkret: Sie ertragen ungern Schmerzen. Sie hören einfach auf, zu lesen. Das ist sogar nachgewiesen.
Aus meiner redaktionellen Berufserfahrung weiß ich, weil welchen Satzkonstrukten Lesende ins Stolpern kommen und aus einem Text aussteigen. Oder einfach zum Ende springen (Daher ist das Ende übrigens immer wichtig!)
Ich kämpfe seit Jahren gegen schlechte Texte. Dabei nehme ich für mich nicht in Anspruch, eine gute Texterin zu sein. Ich bemühe mich aber. Und dieses Bemühen fehlt mir oft in „meiner Szene“. Sicherlich gibt es dieses Phänomen auch in anderen politischen Strömungen, aber deren Texte schaue ich mir nicht so oft an. Das müssen die schon selbst tun.
Ich hatte neulich ein Schlüsselerlebnis. Ich war zu Besuch in der Streikjurte bei Neupack in Stellingen. Neben Schokoosterhasen und -eiern haben wir auch unsere neue Zeitung der AG betrieb & gewerkschaft vorbeigebracht. Darin stand ein halbseitiger Text (für Linke also echt kurz) von mir zu dem Streik.
Die Leute haben die Zeitung gern genommen, aber einer sagte zu mir: „Was soll ich denn noch alles lesen?“
Wir sagen, was Sache ist, wir streiten uns um Formulierungen und fetzen uns bis auf die Kante um Satzbauten und einzelne Begriffe. Und dann kommt da ein Arbeiter und sagt: „Was soll ich denn noch alles lesen?“ Dieser Arbeiter hat in fünf Monaten Streik mehr Bewusstsein erlangt als so mancher linker Kämpe, der jeden Sonnabend auf Demos geht und keinen Parteitag auslässt.
Auf meiner neuen Website finde ich meine Bilder-Galerie besonders wichtig. Weil sie zum Anschauen einlädt. Ich habe verschiedenste Motive eingestellt. Porträts, Demo-Optik, Anzeigen und auch meine Katze. Die Bilder sprechen für sich, und sie sollen anregen, zu verweilen. Neu habe ich heute eine Anzeige von uns zum Christopher Street Day eingestellt. Die Zeile lautet: „queer denken macht glücklich“.
Texte stehen auch genügend auf meiner Website. Auch sehr lange, auch nicht so gute.
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