Wenn das Urlaubsende naht, gibt es einige Pflichten zu erfüllen. Aufräumen, Packen, Fahrräder zurückbringen, und, falls vorhanden, ins Gästebuch des Ferienhauses schreiben. Doch was schreibt man da rein?
Diese Art Texte enthalten mindestens drei Botschaften. Sie sagen etwas über den/die SchreiberIn aus, und sie hinterlassen eine Nachricht für künftige BewohnerInnen. Sie sagen in ihrer Gesamtheit auch etwas über alle bisherigen BewohnerInnen aus.
Was solche Texte nie erfüllen: Wie waren die Ferien wirklich? Ich vermute, selbst Reiseprospekte sind ehrlicher als das, was in Ferienhausgästebüchern geschrieben steht. Man will sich schließlich keine Blöße geben und als Motzfriemel gelten.
Unser Vermieter hat uns am ersten Tag ausdrücklich gebeten, in das Gästebuch hineinzuschreiben. Seither denke ich fast nichts anderes mehr. Warum nur habe ich so ein Pflichtgefühl? Doch bevor ich meine Küchenpsychologie in Gang werfe, füge ich mich der Bitte. Man muss schließlich nicht alles immer so kompliziert machen!
Das Gästebuch, das auf dem Esszimmertisch liegt, ist schwarz. „Skitsebog“ steht darauf. Und „Akvarel“. Und „Gaeste udlejning“. Es hatte also schon mehrere Funktionen. Da es eine Goldschrift am unteren Rand trägt, die lautet „Aarhus Kunstakademi“, ist es auch viel zu schade, um einfach weggeworfen zu werden, nur weil es nicht mehr als Skizzenbuch dient.
Die erste Seite ist auf den 11. September 2009 datiert. Es sind einige Bleistiftskizzen von einem Reh zu sehen. Auf der zweiten Seite sehe ich ein unvollendetes Aquarell, dessen Motiv ich nicht deuten kann. Es ist datiert mit dem 17. August 2012. Das Buch hatte es offenbar schwer, seine Bestimmung zu finden. Denn schon auf Seite 3 steht in rotem und gelbem Bleistift geschwungen „Gaestebogen.“ Von hier ab beginnt also die jetzige Aufgabe des Buches.
Zwei Einträge folgen. Der eine ist aus August 2012, der andere aus April 2013. Das ist nicht viel, um etwas über die Urlaube zu erfahren, die hier stattgefunden haben. Es ist vielmehr ein Hinweis darauf, dass dieses Haus noch nicht sehr lange gemietet werden kann. Was sagen die Einträge nun über die VerfasserInnen aus? Die Hobby-Psychologin in mir erwacht.
Ich lese die beiden Einträge. Beide sind sehr verschieden, nicht nur weil der eine auf Englisch, der andere auf Deutsch geschrieben wurde. Beim genauen Hinsehen merke ich, dass dieses Englisch von Deutschen stammt – ich kann nämlich alles verstehen. Außerdem steht am Ende auf Dänisch: „Tak for den dejlige tid.“ und darunter auf Deutsch „Danke für den schönen Urlaub“. Leute wie Du und ich, denke ich mir.
Der andere Eintrag lässt mehr Raum für Interpretationen. „Ute und Volker“ bedanken sich recht herzlich. Doch haben sich die beiden noch etwas Spezielles ausgedacht. Etwas lyrisches. Zum einen ein Zitat von „Puccini“ über das „schöpferische Genie“. Boah. Das ist zu hoch für mich – und für ein Ferienhausgästebuch wohl auch. Dann kommt noch etwas Selbsterdachtes dazu, nicht weniger schwer. Unter anderem ist von „ungewöhnlicher Einzigartigkeit“ die Rede. Am Ende heißt es „“Schöpferische Energie förderte Muße und Träume, Frieden und Ruhe.“
Ich überlege, was Ute und Volker unseren Vermietern, aber auch den nachfolgenden Hausgästen und damit mir (!) sagen möchten. Über sich. Über ihre Zeit. Und was dieser Eintrag dann real aussagt, die nicht gewollte Botschaft sozusagen.
Vielleicht mache ich mir zu viele Gedanken, aber ich kann textliche Hochstapelei nicht leiden. Ob die Vermieter überlegt haben, das Buch umgehend zu entsorgen, die Seiten wenigstens herauszureißen oder aber es einem anderem Zweck zuzuführen? Als Kochbuch zum Beispiel? Aber es sind sehr höfliche Leute, die so etwas nie tun würden.
Das löst mein konkretes Problem aber nicht: Was schreibe ich hinein? So dass sich niemand darüber kaputtlacht, wenn er es liest. Am Ende ist ein Text entstanden, der etwas über uns erzählt und auch den Vermietern zeigt, dass wir uns bei ihnen wohl gefühlt haben. Ich habe etwas in die dänische Geschichte hineingegriffen und das Hans-Christian-Andersen-Märchen von der „Prinzessin auf der Erbse“ erwähnt, die im Gegensatz zu uns schlecht geschlafen hat. Puccini war Italiener, Andersen immerhin Däne. Ätsch.
Bei dem Eintrag von „Ute und Volker“ finde ich übrigens noch einen weiteren Zettel. Darauf steht: „Wir hatten eine sehr schöne Zeit und Euerem Haus. Alles Liebe und Gute, Volker und Ute.“ Na bitte, geht doch. Man muss schließlich nicht alles immer so kompliziert machen!
Frank Merla – #1 – 09.05.2013 19:29 – (Antwort)
Bei google zu „Motzfriemel“ null Treffer gefunden. Unter dem Begriff kann ich mir trotzdem etwas vorstellen. Immerhin kenne ich das Wort friemeln.