Der Parteitag ist vorbei. Am Sonnabend haben wir 15 Stunden lang Änderungen zum Wahlprogrammentwurf diskutiert. Am Sonntag kamen noch einmal fünf Stunden Satzungsdebatte hinzu. Wer immer noch der Meinung ist, Parteitage sind ein Happening, kann sich von mir aus gehackt legen. Ich war ziemlich fertig und bräuchte eigentlich ein paar Tage Erholung.
Daraus wird nichts, denn diese Woche ist in der Bürgerschaft volles Programm. Eingabenausschuss, Gesundheitsausschuss, noch eine Bürgerschaftssitzung zur Elbphilharmonie, ein Senatsempfang – das sind nur die offiziellen Termine. Aber: Gejammert wird nicht.
DIE LINKE hat jetzt ein Wahlprogramm. Es ist toll geworden – bis auf einen Teil, mit dem ich mich nicht identifiziere. Dazu später mehr. Wir haben unendlich gefeilt, die kollektive Weisheit des Parteitages hat entschieden. Was immer nervt, sind diese GenossInnen, die meinen, aus einer Ansammlung von 550 Leuten eine Textredaktion machen zu wollen. Weitgehend inhaltsfreie Mini-Änderungen, aber bedeutungsschwer vorgetragen. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob der Titel ergänzt werden muss mit „100 Prozent Frieden“.
Man kann sich stundenlang darüber auslassen, wie wichtig das ist. Leider wurde das auch kompromisslos getan. Gescheitert sind sie trotzdem. Wie immer. Am Ende dieser Vielzahl von Kleinständerungswünschen stand daher für mich der Eindruck, dass wenige Leute ein großes Plenum missbrauchen. Der Tenor ist immer der Gleiche und besteht im Wesentlichen aus drei Teilen: (1) Harmonie ist schädlich, nur im Streit kommen wir voran. (2) Freie Zeit für die Menschen? Um Himmels Willen: Sie müssen für die Politik zur Verfügung stehen. (3) Alles ordnet sich der Friedensfrage unter. Ohne Frieden ist alles nichts und das muss auch immer wieder, andauernd und ohne Unterlass gesagt werden. Paradoxerweise verleitet das ein wenig zur Küchenpsychologie: Was können wir für den inneren Unfrieden mancher Leute?
Das Wahlprogramm nimmt die Menschen mit und setzt an den vielfältigen Lebensweise an. Frieden hat einen klaren Schwerpunkt. Ich bin glücklich, wie offen und zukunftsweisend DIE LINKE ihr Menschenbild definiert – es ist von großem Freiheitsgeist getragen. Lesen lohnt sich!
Emotionale Höhepunkte des Parteitages waren die Reden von Katja Kipping, Gregor Gysi und der stellvertretenden Vorsitzenden der Europäischen Linksfraktion, Marisa Matis aus Portugal. Bernd Riexinger habe ich nicht mitbekommen, weil ich am Freitag im stehenden Zug stundenlang festsaß. Auch die Rede des Betriebsratsvorsitzenden von Hennes & Mauritz, der die Schikanen der Firma gegenüber dem Betriebsrat und den Beschäftigten schilderte, beeindruckte mich sehr.
In solchen Momenten kann ich es nicht vestehen, wenn da Delegierte teilnahmslos und abweisend sitzen und ganz offensichtlich darauf warten, dass diese Momente endlich vorbeigehen. Leider war das auch bei der Hamburger Delegation der Fall. Mich ärgert das. In mir entsteht der Eindruck, dass geglaubt wird, es sei Zeitverschwendung, gute Reden zu hören und als Parteitag Solidarität zu zeigen. Ich habe auch zu manchen beiträgen nicht geklatscht. Wenn eine Rede nicht gut ist oder langweilig vorgetragen (Eine war wirklich so laaangweilig, dass ich nur dreimal Klappklappklapp gemacht habe, aus Höflichkeit), dann muss ich nicht schauspielern.
Aber darum ging es nicht, sondern nach meinem Eindruck darum, Realpolitik herabzuwürdigen. Lieber noch ein paar Miniänderungsanträge diskutieren, die allenfalls einen Sack Reis in China umstoßen. Das Gute ist: Der Parteitag geht souverän damit um. Alle haben Rederechte, niemand wird dabei gestört. Auch das gehört zu unserem Menschenbild dazu. Ich finde diesen Darstellung-Egoismus trotzdem unsolidarisch. Es geht in Wahrheit nicht ums Ändern, es geht ums Vortragen, manchmal mit Gedichten garniert, manchmal mit irgendwoher geholten Zitaten aus Klassikern. Daher sind auch Abstimmungsniederlagen kein Problem für diesen kleinen Teil der Parteitagsteilnehmenden – und die hagelte es regelmäßig, ganz eindeutig. Es geht nur um die Macht am Mikro und darum, wem zuerst der Kragen platzt.
Natürlich sind viele Änderungsanträge auch angenommen worden. Im Vorwege wurden zudem bereits Etliche eingearbeitet. Der einzige Teil, der mich im Wahlprogramm stört, ist der, der unsere Forderungen zu Kirche und Religion betrifft. Ich bin nicht religiös. Aber ich finde es unhistorisch, wie im Konkreten die weitere Trennung von Kirche und Staat vorangetrieben werden soll. Mit der Forderung nach Abschaffung aller Feiertagsgesetze? Herr im Himmel, Kruzifix! Das kann es nicht sein. Das bedarf der Vermittlung, und nicht eines Schnellschusses für die kommende Wahlperiode im Bundestag.
Die Satzungsdebatte war wichtig und auch die Änderungen, die vorgenommen werden mussten. Im Grunde banale Fragen nach Ein- und Austrittsregularien, der Beitragszahlungen, der Zuordnung zu den Kreisen – die bei uns in Hamburg Bezirke sind. Hier herrscht in der Satzung Unklarheit. Einige Änderungsanträge wären schädlich gewesen, wären sie angenommen worden. Zum Beispiel, dass unsere Zusammenschlüsse nur noch Delegierte mit beratender Stimme auf Parteitage entsenden sollen. Ich kann das nicht nachvollziehen. Diese Ansinnen wurden wegen Zeitablaufs (warum wohl …) nicht mehr behandelt, ich hätte mir eine Abstimmung gewünscht. Es hätte keine Mehrheiten gegeben, da bin ich sicher. Aber dann Klarheit!
Ein weiterer Kriitkpunkt von mir ist der Ablauf des Frauenplenums. Es wurde fast eine Stunde für Vorträge verwendet. Katja Kipping und Caren Lay haben der Sache damit keinen Gefallen getan, ich werde das beiden auch noch deutlich sagen. Ich bin nach einer Stunde gegangen, weil ich mich nicht gängeln lasse. Wenn Frauenplenen zur Selbstdarstellung verkommen, können sie ausfallen. Die weiblichen Parteitagsdelegierten haben ein Recht auf Unterstützung und Ermunterung, aber nicht die Pflicht, sich dann so etwas anzutun.
Im Februar 2014 findet der Parteitag in Hamburg statt. Dann geht es um die Europawahlen und darum, wen wir ins Rennen schicken. Personalien finden sowohl Delegierte als auch die Medien sowieso immer spannender als Programmdiskussionen und Debatten um die Satzung. Insofern wundert es mich nicht, dass Presse, Rundfunk und Fernsehen den Dresdner Parteitag eher langweilig fanden. Wären sie aufmerksamer gewesen, hätten sie aber jede Menge Interessantes gefunden, worüber sie hätten berichten können. Um nicht immer nur die bekannten Gesichter zu zeigen. Es ist die Schwäche der bürgerlichen, und damit auch den öffentlich-rechtlichen Medien, das nicht mehr zu können und auch nicht mehr zu wagen. Ein Bildungsauftrag und eine objektive Berichterstattung hätten anders verwirklicht werden müssen, als es geschehen ist. Wir brauchen mehr mutige JournalistInnen!
Deinen Bericht vom Dresdner Parteitag habe ich mit Interesse gelesen. Ich konnte alles gut nachvollziehen. Besonders Deine Bemerkung zur Forderung von 100 % Frieden. Für die Ächtung dieses Mini-Antrags habe ich schon in Hamburg Kloppe beziehen müssen, und zwar von den üblichen Verdächtigen.
Die Ergebnisse der Satzungsdiskussion – sofern es welche gibt – würden mich interessieren, zumal die Satzung auch heute (17.06) bei der LSK Thema war.
Dank auch für alle jetzt nicht erwähnten Infos.
MsG
Reinhild
Moin Kerstin,
Ich danke dir für deine Berichte vom Parteitag, besonders den bisher letzten. Den empfand ich besonders informativ. Nur die Vielzahl der Bilder hat mich etwas genervt, besonders, wenn Personen nicht klar zu erkennen waren. Ein schöner Rücken kann wohl auch entzücken, ist aber nicht informativ. Trotzdem vielen Dank!