Was ist ein Parlament ohne Opposition? Diktatur. Gerade Kindern Parlamentarismus zu erklären, bedarf daher einer sorgsamen Arbeit.
Im Kinder-SPIEGEL versuchen sich die Kolleg_innen daran, die Bundestagswahlen jugendgerecht aufzubereiten. Überschrift: „Deutschland hat die Wahl“. Um es vorweg zu nehmen: Der Text wird der Überschrift nicht gerecht.
Da ich überzeugt bin, dass die allerersten Momente entscheidend für die Meinungsbildung beim Lesen eines Textes sind, hat die erste Wahrnehmung, die beim Lesen Text stattfindet, eine prägende Rolle. Wie lauten die jeweiligen Einstiegsverben für die Parteien?
- Die Grünen wollen verbieten …
- Die SPD verspricht …
- Die CDu arbeitet …
- Die FDP setzt sich …
- DIE LINKE spielt …
Alles klar? DIE LINKE spielt nur. Bei den Grünen wird das negative Stigma der der „Bevormundungspartei“ bestätigt und die SPD kann ja viel sagen, wenn der Tag lang ist. Wirklich positiv kommen die Regierungsparteien weg. Arbeiten und sich einsetzen – das ist tatkräftig und positiv.
Wer es für übertrieben hält, wie prägend der erste Eindruck beim Lesen ist, für den präsentiere ich der ersten (Halb-)Satz der kleinen Texte, mit denen die fünf im Bundestag vertretenen Parteien vorgestellt werden. Einstiegssätze – habe ich mal gelernt – müssen zentral ausdrücken, was im Text vorkommt. Also:
- Die Grünen wollen verbieten, dass Tiere im Zirkus auftreten oder dass Flugzeuge nachts starten dürfen.
- Die SPD verspricht bessere Bildungschancen für Kinder aus ärmeren Familien …
- Die CDU arbeitet im Bundestag mit der CSU zusammen, …
- Die FDP setzt sich für den sogenannten Mittelstand ein …
- DIE LINKE spielt im Bundestag keine große Rolle.
Ist es übertrieben, von der Autorin oder dem Autor zu verlangen, Parteien gleich zu behandeln? Mag sein. Aber tendenziöse Sätze an den Anfang eines Textes zu stellen, ist nicht sachgerecht.
Wer jetzt erwidert, „spielen“ sei positiv bei Kindern besetzt, dem setze ich entgegen: Politik ist kein Spiel, das wissen auch Kinder. Außerdem fällt auf, dass nur drei Parteien mit konkreten Inhalten starten. Außerdem kann es kann nicht angehen, dass die Rolle der Opposition nicht als wesentlicher Bestandteil der Demokratie dargestellt wird. An Platzgründen im Blatt kann es nicht gelegen haben, wohl eher am Politikverständnis derjenigen, die Wahlen erklären möchten, aber nicht können.
Die Bundestagswahlen sind in DEIN SPIEGEL nämlich über mehrere Seiten ausführlich dargestellt. Der Parteientest „Wen würdest Du wählen?“ animiert zum Mitmachen. Dass der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Kinder ein doppelseitiges Interview gibt, ist natürlich die so typische Übervorteilung des angeblich einzigen Herausforderers.
Dass die Opposition gar nicht das eigene Wort erheben darf ist weiteres ein Indiz dafür, dass DEIN SPIEGEL seine eigene Überschrift nicht ernst nimmt. Deutschland hat die Wahl zwischen Steinbrück und Merkel? Nicht einmal das stimmt: Bei den Bundestagswahl werden Kanzlerin oder der Kanzler gar nicht gewählt, sondern die Parteien.
Letzlich bleibt der schale Geschmack, dass DEIN SPIEGEL nicht deutlich macht, dass Wahlen nur ein kleiner Teil der Demokratie ist. Und das eine Oppositionspartei laut DEIN SPIEGEL im Bundestag keine große Rolle spielt, ist verantwortungslos.
Du hast den Artikel, und was dahintersteckt, toll erklärt. Bitte weiter so 🙂