„Soll ich jetzt rekrutiert werden, oder was?“, fragt mich eine Endfünfzigerin, schick gekleidet, gepflegtes Haar, dezent geschminkt. Sie blickt mich auffordernd an. „Nein“, gebe ich zurück. „Ich mache hier eine offene Sprechstunde. Wenn Sie etwas über die Bürgerschaft wissen wollen, oder über DIE LINKE oder über meine Arbeit als Abgeordnete, oder wenn Sie ein Anliegen haben, dann bin ich jetzt für Sie da.“
Die Passantin will nichts von mir. Aber sie gibt mir noch den Ratschlag, meinen kleinen Stand weiter unten beim Abaton-Kino aufzubauen, weil hier oben an der Kreuzung doch der Umbau sei. Es würde nach neuem Asphalt stinken und überhaupt, der Lärm. Dann zieht sie davon. Sie hat es nicht gut gemeint mit mir. Sie ist der Typ Mensch, der es immer besser weiß.
Dass ich mit meiner Sprechstunde ein Opfer des Busbeschleunigungsprogrammes des Senats werde, ahnte ich schon. Dicke Laster schieben hinter mir hin und her, Bauarbeiter brüllen rum. Es scheppert und rumpelt und es mieft nach Teer. Und ich stehe in knalliger Sommerhitze. Ich muss da jetzt durch. Ich habe mich an genau dieser Ecke angekündigt. Und kann deswegen nicht woanders stehen.
Johanna leistet mir heute Gesellschaft, auch Rainer schaut wieder vorbei – und spendiert Kaffee. Ein ehemaliger Kollege kommt vorbei, der seit zwei, drei Jahren in Rente ist. Keiner unserer Wähler, aber er freut sich sehr, mich zu sehen. Gut sieht er aus. Richtig gut. Kein Stressgesicht mehr wie ich es von ihm kenne, als er noch Termindruck hatte. Wir klönen einen Moment, und er erzählt mir, wie er seine Zeit nutzt. Und dass er ab und zu noch in den Betrieb geht und Hallo sagt.
Mit einer Frau, die interessiert stehen bleibt, bin ich schnell beim Thema Katzen, denn sie trägt Taschen mit Katzenmotiven und hat eine Katzenbrosche an der Bluse. Sie engagiert sich im Tierschutz und geht oft in die Süderstraße, ins Tierheim.
Eine andere Frau hält an und steigt vom Fahrrad ab. „Weißt Du noch, wer ich bin?“, fragt sie mich. „Ich kann Dich gerade nicht einordnen.“, gebe ich zu, aber ich kenne sie von irgendwo her. Sie verrät, dass wir uns von der Volkshochschule kennen. Achja, Geli! Dann sind wir im Gespräch.
Ich komme kaum dazu, mich mal auf meinen Stuhl zu setzen – wie auch schon die letzten Male steht er meistens verwaist herum. Die Leute nehmen die kleinen Pflastertaschen mit, einige nehmen Broschüren. Eine Frau will mit mir ins Geschäft kommen, sie sucht Aufträge. Ich nehme ihre Karte, sie bekommt meine. Vielleicht fällt mir ja was ein.
Meine letzte Gesprächspartnerin kommt neugierig auf mich zu, und fragt, was ich hier mache. Ich erkläre es ihr. Dann sagt sie: „Das sieht sehr freundlich aus, wie Sie das hier aufgebaut haben. Ich mag DIE LINKE. Und Sie bieten sich öffentlich den Leuten an, die müssen nicht zu Ihnen kommen. Sie sind ansprechbar.“
Dann erfahre ich von ihr, wie verärgert sie über das ist, was um sie herum geschieht. Was die Politik mit ihrem Leben macht. Dass sie sich nie gefragt fühlt. Dass es ihr sehr gut gehe, aber dass es schlimm sei, was mit Menschen passiert, denen es schlechter geht. Den Flüchtlingen, den Obdachlosen. „Jetzt geben Sie mir doch mal die Broschüren, die Sie da haben. Wann sind wieder Wahlen?“ „15. Februar.“ „Gut.“
Für mich ist es Zeit. Zwei Stunden sind mal wieder wie im Fluge vergangen. Johanna hat mir einen Strauß Rosen zum Abschied geschenkt. Ich baue ab und ziehe mit meinem Rollo davon. Die Bauarbeiter sind noch am Herumrumpeln.
Schön zu lesen.
Die letzte Passantin war doch ermutigend, right? Weiter so und viel Erfolg!
Ja, stimmt. Bis auf die erste Frau waren alle ermutigend. Es ist richtig,zu den Leuten hinzugehen und nicht zu warten, si jemand kommt.