„Wo eine Wille ist, ist auch ein Stift“, hat Amelie Gräf eines ihrer Seminare getitelt. Die Journalistin und Schreibtrainerin ist drei Tage lang auch meine Dozentin gewesen. „Kreatives Schreiben“ war der Titel des Kurses, den sie an der Akademie für Publizistik angeboten hat und den ich mit elf weiteren Frauen und Männern belegt hatte. Wir alle sind in der Text-Branche unterwegs. In Redaktionen, PR-Agenturen und Kommunikationsabteilungen. Ich möchte Hilfe für populäres Schreiben, nachdem ich sieben Jahre lang Reden, Presserklärungen, parlamentarische Anfragen und Anträge fabriziert habe.
Automatisch Schreiben. Stift, Papier, zehn Minuten lang drauflos. Keine Gliederung von Fakten, keine Absätze, kein Nachdenken. Der Daumenballen fäng ab Minute vier an, weh zu tun. Weiterschreiben. Zügig. Raus mit allem, was im Kopf ist. Keine Zensur. Der Text, der entsteht, ist Reisig für das spätere Lagerfeuer.
Der Scheit muss weiter wachsen.
Womit schreiben wir? Mit den Fingern auf der Tastatur. Und sonst so? Mit Kuli, Bleier oder Filzer. Ich schreibe mit einem Füller, damit ich später das Geschriebene lesen kann. Der Lieblingsstift ist der Garant für schöne Texte, erfahren wir. Die Tatstatur nicht? Nein, die fördert Schreibblockaden. Meine Hand lässt den Füller über das Papier fliegen. Meine Sitznachbarin wechselt die Hand: Ihr wurde die linke Hand wegtrainiert. Eine klassische Schreibblockadegefahr! Ich bewundere ihren Mut.
Clustering. Der Begriff leitet sich von „Busch“ ab. Wir buscheln. Das heißt: Wir bilden unser Gedankenspiel auf Papier ab. In der Mitte zeichnen wir ein Ei, darin schreiben wir das Thema. Davon abgehend zeichnen wir Verästelungen, an denen wir unsere Gedanken in Stichworten anhängen. Als mein Cluster nach wiederum zehn Minuten steht, sehe ich: Es stehen auch viele Nebensächlichkeiten da. Nun kann ich mich auf das Wesentliche konzentrieren.
Nach der Maßlosigkeit folgt die Maßarbeit, das „Haiku“. Vorlage für meine spätere Überschrift. Die japanische 17-Silben-Gedichtform wird wenig von Professionellen genutzt. Ab heute wird sie Standard. Wir dichten: Drei Zeilen, fünf Silben, sieben Silben, fünf Silben. Ich dichte mein erstes Haiku seit vielen Jahren:
Mein – For- men -tera
a – ber – nie -mals – im – Au – gust
zu – voll – und – zu – heiß.
Alternativ hatte ich
For- men – ter – a – ist
schön. – Nie- mals – im – Au – gust. – Vol
ler – I – ta – lie – ner.
Oder auch
Te -le – fo – ni -ni,
Rin – ge, – Ket – ten – und – Schmin – ke.
Oh – I -ta – lie – ner.
Entsteht daraus die Überschrift für meinen 50-Wörter-Text über die Urlaubsinsel, den ich nach dem Clustering aufgeschrieben hatte? Amelie hatte verfügt, dass er nicht länger sein darf.
Der Scheit ist bereits hoch und stabil gebaut.
Es kommen Metaphernübungen, eine Exkursion in das NIVEA-Haus, ein Satz über eine Person. Und etwas für den guten Geschmack: Wir wählen jede und jeder unsere „sechs schönste Wörter“ aus. Daraus entsteht bei vielen von uns eine Kindergeschichte. In sechs Sätzen.
Meine lautet so:
Heidemarie liest vor. Sie hat zu einer Märchenstunde nach Oberneuland eingeladen. Sie liest die Geschichte vom Flaschengeist, der auf der Suche nach seinen Eltern ist. Die Kinder haben Schokolade von ihr bekommen und hören ihr aufmerksam zu. Das Sonnenlicht wirft die Schatten der kleinen Körper auf den Rasen. Heidemarie kommt nicht dazu, die Geschichte zu Ende vorzulesen, denn ein Sommerregen beendet die Idylle vorzeitig.
Am Ende des Seminares schenken wir Unserer Dozentin zum Dank eine Stifte-Box. Für ihre Lieblingsschreiber. Ich glaube, es sind Bleistifte.
Ich werde viele weitere Lagerfeuer bauen und entzünden. Jetzt bin ich viel sicherer, dass sie brennen. Danke, Amelie Gräf!
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