Warum sind Frauen anders krank als Männer? Warum leben Frauen länger und warum bringen sich mehr Männern um? Was muss die Gesellschaft tun, um den Geschlechtern je nach ihren Voraussetzungen eine optimale gesundheitliche Versorgung und Lebensqualität zu ermöglichen?
Auf Antrag der Linksfraktion fand am 23. April zum Thema Gendermedizin eine ExpertInnen-Anhörung im Gesundheitsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft statt. Prof. Dr. Marianne Schrader (Ärztinnenbund, Berlin), Thomas Altgeld (Akademie für Sozialwissenschaften, Hannover) und Dirk Gansefort (Institut für Präventionsforschung, Bremen) stellten sich den Fragen der Abgeordneten. Hier eine Zusammenfassung. Das Wortprotokoll wird bald vorliegen und veröffentlicht. Die Auswertung der Anhörung wird unter Befragung des Senats am 24. Mai stattfinden.
Was ist Gendermedizin? Das ist Humanmedizin unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten. Schwerpunkte sind soziale, psychologische und biologische Unterschiede der Geschlechter.
Doch es weigert sich selbst die Ärzteschaft, Unterschiede anzuerkennen – vorwiegend der männliche Teil. Sie machen es sich leicht: Es gibt viel zu wenige Daten, die die Verschiedenheit der Geschlechter ausweist. Ein Beispiel sind die Frühen Hilfen. Schon das Kind ist geschlechtslos, denn es gibt keine spezielle Datenerhebung. Dabei haben Mädchen und Jungen unterschiedliche Krankheiten und auch Unfallgefährdungen. Eine Black Box ist auch der Arbeitsschutz, der auf Männer fokussiert ist.
Auch in der Vorsorge und der Früherkennung sprechen Angebote die Verschiedenheit der Geschlechter an. Ein Beispiel: Die Anti-Alkoholkampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Der Slogan „Kenn’ Dein Limit!“ geht an jungen Männern vorbei. Die Gründe liegen in der männlichen Selbstwahrnehmung: „Männer fühlen sich so lange gesund, bis sie umfallen.“, sagte Thomas Altgeld.
Auch in der Pflege wird zwischen Männern und Frauen nicht unterschieden. Dabei werden Frauen öfter stationär betreut, Männer hingegen ambulant, dass heißt – zu Haus und von Familienangehörigen.
Altgeld kritisierte die Männergesundheitsforschung am UKE, die sich auf kosmetische Fragen und operative Eingriffen an den äußeren Genitalen reduziere. Es sei relevant, ob und in welchem Umfang Projekte und Forschungen von der Pharmaindustrie finanziert würden.
Auch werden psychische Erkrankungen bei Männern oft nicht richtig diagnostiziert. Ebenso ist Osteoporose nur zu zweidrittel eine Frauenkrankheit.
Dennoch: Die gesellschaftliche Gesundheit ist immer noch den Prämissen des männlichen Körpers unterworfen. Dies führt beispielsweise in der Kardiologie zu falschen Diagnosen an Frauen, bis hin zu Todesfolgen. Ebenso werden Arzneimittel nur an weißen Männern erprobt, deren Leber Enzyme aber ganz anders abbaut als die von Frauen. Frauen bekommen statistisch die billigeren Medikamente und werden seltener in Rettungswagen transportiert. Selbst bei Darmkrebs und dessen Früherkennung wird auf fragwürdige Stereotypen gesetzt: Warum heißt eine Aktion „1000 mutige Männer“? Ebenso ist die Suchtprävention eher männlich geprägt, die Balance zwischen psychischer Erkrankung und Sucht ist fließend und erfordert für eine erfolgreiche Behandlung geschlechtersensible Diagnosen.
Die größten Gesundheitsrisiken der Menschen – Rauchen und Trinken – sind bei den Geschlechtern dieselben, doch lohnt selbst da ein Blick auf die Unterschiede: Frauen holen beim verhaltensbedingten Krebs auf, welches die gestiegene Anzahl an Lungenkrebspatientinnen zeigt. Männer allerdings sterben schneller an Krebs. Die Ursache ist ihre mangelnde Therapietreue.
Bezogen auf die Lebenslagen gilt für die Geschlechter generell: in sozial besser gestellten Schichten leben die Menschen zehn Jahre länger als arme Menschen. Dass Männer immer noch eine um mehrere Jahre kürzere Lebenserwartung haben als Frauen, liegt vor allem an deren Risiko- und ihrem Vorsorgeverhalten.
Was kann getan werden? Es sind eine Reihe von Empfehlungen gegeben worden. Vor allem eine geschlechtsspezifische Betrachtung als Zulassungsvoraussetzung von Arzneimitteln, eine geschlechtersensible Forschungsförderung auf Landesebene, auf die Geschlechter angepasste Öffnungszeiten von HausärztInnen zum Beispiel wegen Schichtarbeit, geschlechtsspezifische Berücksichtigung von Vätern und Müttern in der Kinderarztpraxis zum Thema Gewalt an Kindern, Berücksichtigung von Gesprächszeiten bei der Berechnung der Ärztehonorare, weil zum Beispiel Männer mit Migrationshintergrund ausgesprochen kurze Arztgespräche haben.
Es braucht neue Diagnose-Definitionen für die Bereiche Sucht und Depressionen, eine generelle Ausweisung der Geschlechter bei Datenerhebungen, eine Ausweitung von Unfallhergängen im Arbeitsschutz, Wahlpflicht Genderkompetenz in der Ausbildung. Gendermedizin solle in allgemeine Fortbildungsthemen „eingeschleust“ werden.
[…] erbracht hatte. Daraus entstand ein Antrag zur Gendermedizin, der Grundlage für eine ExpertInnenanhörung in der Hamburgischen Bürgerschaft wurde. Gendermedizin ist danach ein wichtiger Bestandteil des […]