Rede in der Aktuellen Stunde am 27. Februar 2013: Hamburg wächst – doch die Portmonees der Menschen bleiben klamm: Beschäftigte im öffentlichen Dienst, bei Neupack, am Flughafen und im Einzelhandel wehren sich! Youtube-Video anschauen. Und hier das Manuskript zum Nachlesen:
Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen,
Hamburg wächst, das ist eine Tatsache, auch wenn sie oft als Werbeslogan und damit sehr einseitig benutzt wird. Wachstum bedeutet nämlich nicht nur, dass alle mehr haben, sondern dass viele immer weniger haben.
So wächst der Niedriglohnsektor und die Einkommen aus abhängiger Arbeit sinken. Sie sind heute niedriger als im Jahr 2000. Das bedeutet zunehmend prekäre Lebenslagen und Armut im Alter.
Daher haben die derzeitigen Streiks, die in Hamburg und anderswo stattfinden, eine große Bedeutung. Wo es keine oder schlechte Tarifverträge gibt, sind Löhne und Gehälter auch dort niedrig, wo Tarifverträge nicht direkt gelten. Tarifverträge sichern auch Transparenz. Wo kein Tarifvertrag gilt, kann der Preiskampf angeheizt und die Konkurrenz unter Druck gesetzt werden. Das nennt sich ruinöser Wettbewerb.
Wenn Arbeitgeber und die Arbeitgeberverbände den Abschluss vernünftiger Tarifverträge hinauszögern oder sogar verhindern wollen, dann ist das ein Angriff auf alle Einkommen aus abhängiger Arbeit, sehr geehrte Herren und Damen!
Es führt zu einem Bedeutungsverlust von Arbeit und Arbeitsergebnissen. Es findet eine Entwertung von Arbeit statt!
Ich ahne, was mir gleich entgegen geworfen wird: Das sei Tarifautonomie, damit hat sich das Landesparlament nicht zu beschäftigten. Ich aber sage Ihnen: Dass, was die gesetzgebende Gewalt in den letzen Jahren alles verschlimmbessert hat, hat nachhaltig in die Tarifautonomie eingegriffen. Dies sind vor allem die Privatisierungen von öffentlichen Eigentum, Möglichkeiten von Betriebsaufspaltungen, Aufweichungen für den Einsatz von Leiharbeit und die Ausweitung von befristeten Verträgen.
Es muss sich wirklich niemand wundern, wenn die Beschäftigten der Fluggastkontrollen streiken. Die Privatisierung der Sicherheitsdienste und die Stagnation der Löhne haben dazu geführt, dass zu dem letzen Mittel gegriffen wurde – dem Streik. Wer jetzt die Kolleginnen und Kollegen beschimpft, ist sich entweder dieses Sachverhalts nicht bewusst oder blendet die Tatsachen völlig aus!
Es geht um einen Stundenlohn von 14 Euro 50! Das wären – ausgehend von einer 38 Stundenwoche – gerade einmal 2.400 Euro, was die Sicherheitskräfte dann an den Flughäfen verdienen würden. Das ist keine utopische Forderung, wie Arbeitgeberpräsident Hundt tönt. Das ist ein Einkommen, von dem man leben, aber auch nur bescheiden leben kann. Und es ist immer noch weniger, was die Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten an Diät erhalten.
Wir sehen auch anhand des Neupack-Streiks, wohin die derzeitige Gesetzeslage führt: Dadurch, dass Leihkräfte auf bestreikten Arbeitsplätzen eingesetzt werden können und befristete Einstellungen möglich sind, wird die Auseinandersetzung unnötig in die Länge gezogen. Das grundgesetzlich verankerte Koalitionsrecht wird mit den Füßen getreten, weil ein Unternehmer keine Gewerkschaften mag.
Darum geht es aber nicht. Ein Unternehmer hat sich seiner Verantwortung zu stellen! Dafür genießt er in diesem Land große Freiheiten!
Diese Aushöhlung des Tarifsystems und die Gesetzeslage wird vielmehr massiv ausgenutzt und missbraucht.
Wir sehen das beim Einzelhandel: Die Arbeitgeber haben dort die Tarifverträge gekündigt! Sie wollen aber nicht etwa ihren Leuten endlich mehr Geld zahlen und ihnen die nötige Wertschätzung entgegenbringen. Nein, sie nennen es „alte Tarifzöpfe abschneiden“. Wer abschneiden will, sehr geehrte Herren und Damen, der will kürzen. Es geht hier also ganz klar darum, sich den Bedingungen von Amazon anzunähern. Die Folgen sind für die Betroffenen und die Volkswirtschaft inakzeptabel!
Das gilt auch für die Tarifauseinandersetzung im Öffentlichen Dienst. Der Senat hat sich aus dem Fenster gehängt und die Lohngestaltung bereits per Haushaltsplan festgelegt – ohne Tarifverhandlungen! Mehr als 1,5 Prozent dürfen es nicht sein. Sonst, so der Finanzsenator, würde noch mehr Personal als die angekündigten 250 Stellen abgebaut.
Dem Öffentlichen Dienst geht es aber gar nicht gut. Die Krankenstände sprechen Bände. Und es soll auch noch der Urlaubsanspruch der Schuldenbremse zum Opfer fallen. Dazu muss sich die Bürgerschaft verhalten, sehr geehrte Herrn und Damen. Wer als Parlament glaubwürdig sein will, muss den Öffentlichen Dienst stärken und darf ihn nicht schwächen!
Sehr geehrter Herren und Damen,
die Bürgerschaft trägt Verantwortung. Sie setzt Signale, die für die Stimmung in der Stadt wichtig sind. Sie darf daher nicht stillschweigend hinnehmen, wenn Wachstum und wachsende Stadt einseitig und zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung definiert werden.
Ich rufe Sie alle auf, sich solidarisch mit den Menschen zu zeigen, die sich für bessere Einkommen einsetzen und die den Mut aufbringen, dafür zu streiken. Sie verdienen unser aller Respekt und keine Beschimpfungen oder Missachtung!
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