Ich mag den Boulevard, weil er emotional ist. Ich mag ihn, weil er es schafft, kompakt Themen zu vermitteln. Und weil intellektuelles Präsentiergehabe so genannter Edelfedern null Chance hat.
Ich mochte allerdings BILD noch nie, aber das aus rein politischen Gründen. Denn dann und wann verdient die Redaktion Respekt für ihre Schnüffelnase.
Im Moment scheint beim Springer-Blatt aber die halbe Belegschaft mit einer Grippe danieder zu liegen – wie sonst lässt sich die seit Tagen gehypte, uninteressanteste Geschichte, die es je gegeben hat, erklären?
Cecilia (26) ist blond, jung, deutsch. Und sie wird beschuldigt, jemanden erstochen zu haben. Cecilia ist noch mehr: Sie ist Millionärstochter. Diese Mischung hat die Redaktion offenbar getriggert. BILD bedient sich anhand des Falles der abgelutschtesten Metaphern, die der Boulevard zu bieten hat: Ein „Sumpf aus Drogen und Prostitution“, ein „Kampf ums Baby“, und die verzweifelte Frage: „Wie konnte ein gebildetes Mädchen so abrutschen?“ Gebildet und abgerutscht: Unfassbar. Wer schlau ist und reich, dem darf das doch nicht passieren!
BILD beleidigt mit dieser medial-verkrampften Kampagne nicht nur alle Leserinnen und Leser, sondern mal wieder alle Frauen. Denn – mal anders rum gefragt: Bei einer 26-Jährigen Migrantin, die in einem Hochaus-Ghetto aufgewachsen ist, keinen Schulabschluss hat und arbeitslose Eltern, hätte man eher vermutet, dass sie in einen „Sumpf aus Drogen und Prostitution“ gerät? Ungebildet = Abrutschgefahr?
Eine Migrantin hätte nämlich wohl eher für eine andere Geschichte getaugt: Zwangsheirat. Puh! Oder: Ehrenmord. Ah! Oder, noch besser: Liebe mit einem Deutschen, Bruder stach zu. Zu jedem Frauentyp die richtige Geschichte.
Auf einer bislang unbekannten jungen Frau, die durch verschiedene Umstände aus ihrem gutbürgerlichen Leben herauskatalpultiert wurde, wird – weil sie so gut in die Frauenwelt der BILD passt – noch einmal aufs Heftigste herumgetrampelt. Für die Auflage. Morgen ist Cecilia uninteressant. Wenn nicht noch ein düsteres Geheimnis auftaucht, das in den Abgrund dieser gefallenen Seele blicken lässt …
Mehr Differenziertheit schafft auch der Boulevard. Emotional muss nicht heißen, einfältig zu sein.
An alle Leserinnen und Leser dieser Zeitung: Es ist nie zu spät, mit dieser Lektüre aufzuhören.
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